Ankündigung

Einklappen
Mehr anzeigen
Weniger anzeigen

Aig. de Triolet, 3870 m; Nordwand, Montblancgebiet, 9.8.1983

Einklappen
X
 
  • Filter
  • Zeit
  • Anzeigen
Alles löschen
neue Beiträge

  • Aig. de Triolet, 3870 m; Nordwand, Montblancgebiet, 9.8.1983

    Ein wildes Abenteuer habe ich aus meinen alten Tourenbüchern ausgegraben, ein paar Bilder gibt´s auch und passend zur beginnenden Eis-Saison präsentiere ich halt wieder einmal einen Nostalgiebericht.
    Mir ist auch klar, dass dieser Bericht sehr eindringlich das Restrisiko solcher Touren vor Augen führt und ich verstehe durchaus, wenn das auch sehr kritisch aufgenommen wird.
    Die Ausrüstung hat sich ebenfalls geändert, vor allem aber das Klima von 1983 ist nicht mehr das Klima von heute. Gerade im Sommer 1983 war aber bereits zu erahnen, was uns in punkto Ausaperung, Eisrückgang in Zukunft bevorsteht.
    Heutzutage wird kaum jemand mehr im Sommer in diese Route einsteigen. Jetzt, nach den herbstlichen Neuschneeüberraschungen bestehen aber gute Chancen, in einem schönen Vorwinter dort Top-Verhältnisse vorzufinden.
    Nun aber zum Bericht, der sich größtenteils auf den Originaltext aus meinem Tourenbuch stützt:

    8.8.1983
    Wir liegen gemütlich auf den warmen Felsplatten oberhalb der Argentierehütte.
    Gut ist es gelaufen bisher: Dru-Nord, Walker, Aig. Blanche Nord+Peutereygrat, alles in wenigen Tagen, wir fühlen uns stark…
    Über uns blauer Himmel, um uns blitzende Eiswände, gewaltige Felsformen, bedrohliche Schluchten, die Szene von Argentiere.
    Unsere Blicke schweifen – Verte, Droites, Courtes, dann die Triolet, alles eindrucksvolle Nordwände!
    Doch mischt sich auch etwas Sorge in unser Staunen: Wie sehr hat doch dieser warme Sommer den Wänden schon zugesetzt!
    Die Droites-Nordwand – kein Eisfeld mehr im unteren Drittel, in der Courtes Nordwand rumpeln immer wieder Steine durch einen grausigen Gerölltrichter, überall nur schwarzes, dreckiges Eis. Dieser Plan ist gestorben…
    Was bleibt ist ganz hinten die Triolet! Doch auch sie zeigt ein gewandeltes Gesicht.
    Tri-006.jpg
    Der untere Teil ist nur durch ein schmales Eiscoloir zu begehen. Und das liegt genau in der Falllinie drohender Seraks… Immerhin zeigt sich noch noch ein heller Firnstreifen in dieser Rinne.
    „Wird schon gehen!“ trösten wir uns und genießen die Nachmittagssonne.
    In den Wänden rührt sich pausenlos was, Eisbrocken, Steine – nur in der Trioletwand ist es ruhig. Trotzdem bleibt so mancher Blick an den Serakwällen hängen. Sie stellen in der Wand eine ständige Bedrohung dar…
    Doch der Entschluss steht fest, der Zeitplan auch – morgen gehen wir…
    Die Sonne ist weg, es wird kalt – gut so! Die Nacht ist klar – perfekt!
    Zuletzt geändert von tauernfuchs; 05.11.2017, 18:13.

  • #2
    9.8.1983
    2h morgens, wir stolpern hinaus, sternklar, der kalte Hauch des Gletschers umfängt uns…
    Unser erster Blick gilt natürlich der Wand. Nein – keine Lichter, keine Leute in der Wand, das
    beruhigt – ein wenig.
    Doch rechts in der Courtes NO-Wand bewegt sich eine Lichterarmee. Kein Wunder, in dieser Wand gibt es keine objektiven Gefahren, sogar noch Hartfirn, nicht so steil, gute Verhältnisse. Fast übertrieben erscheint uns dieser frühe Aufbruch dort, na ja, ist halt Tradition. Wenigstens sind wir allein – sehr wichtig!
    Solch gute Verhältnisse werden wir nicht haben, etliche Passagen sind blank, manche ganz dunkel, vielleicht sogar aper. Aber so geschenkt wollten wir´s ja nicht…
    Wir haben einen genauen Zeitplan. Bei Sonnenaufgang wollen wir an den Eisbrüchen vorbei sein. Das geht nur, wenn wir gleichzeitig steigen, bis dorthin jedenfalls. Nur wenige Eisbrocken liegen am Wandfuß, aber Seraks sind unberechenbar…
    Die Randkluft ist kein Problem. Dann wechselt weiches Blankeis mit hartgepresstem Schnee, nicht immer ganz verlässlich, aber wir passen schon auf.
    Gerhard steigt vor mir, aber als seine Stirnlampe schwächelt, gehe ich voraus. Bald aber sehen wir genug im ersten Dämmerlicht. Zügig gewinnen wir an Höhe. In gleichmäßigen 50° zieht die Rinne empor, im oberen Teil verflacht sie etwas, wird breiter. Ein Bedürfnis nach Seilsicherung hat keiner von uns, jeder vertraut auf sich, Pickel und Eishammer, tack, tack...
    Kurz unter dem ersten Eisgürtel wird es hell, die Eisüberhänge über uns scheinen uns erdrücken zu wollen, gut 80 Meter hoch wölben sich die zerborstenen Gebilde.
    Längst halten wir uns möglichst links, möglichst außerhalb der Schusslinie. Ich steige etwa
    20 Meter über meinem Freund, er etwas seitenversetzt unter mir, damit er keine Eisstücke abbekommt.
    Am linken Rand der Seraks ist eine geschützte Stelle. Nur rasch dorthin! Immer wieder besorgte Blicke nach oben… Plötzlich ein Knacken!
    Im rechten Teil haben sich einige Trümmer gelöst, Brösel nur, aber auch die sind gefährlich.
    Reflexartig hacke ich die Eisgeräte fest ein und schmiege mich an die Flanke.
    Dann – ein unheilvoller Knall! Wie gelähmt starre ich nach oben: Ein Eisblock, so groß wie ein Kühlschrank saust unmittelbar auf mich zu, direkt!
    Es ist aus, zu spät um auszuweichen. „Oh Gott“ sage ich noch, aber die Worte bleiben mir schon im Hals stecken. Aus – ich denke nichts mehr – apathisch warte ich auf den Schlag, der mich aus der Wand reißen wird.
    Poltern, Rauschen, peng! Der erste Brocken knallt auf meinen Helm, ungestüm klatschen Trümmer auf meinen Rucksack, streifen meine Schultern, Arme, Beine… Bald hat das grausame Spiel wohl ein Ende, der große Brocken wird mich bald treffen, dann…
    Ratsch, reißt es mir die Stirnlampe ins Gesicht, feiner Schneestaub wirbelt herum, ich kann kaum atmen. Eine kurze Pause benütze ich und hacke meinen Eishammer noch fester ein, nochmals Rauschen, Poltern, doch dann endlich – Stille.
    Ich keuche nach Luft, doch – der Block ist vorbei! Ich lebe!
    Aber wo ist Gerhard?! Er ist noch da! Aber er bewegt sich nicht, ein Bündel, flach ans Eis geschmiegt. Ich rufe. Jetzt rührt er sich, auch er – unverletzt!
    Ich sage nur Danke! Es gibt Augenblicke im Leben, die haben mit Zufall nichts mehr zu tun…
    Möglichst rasch klettere ich die letzten Meter zum Rand des Eisüberhangs. Hier ist es sicher, einigermaßen, hier warte ich.
    Nach diesem Vorfall sind wir sehr angespannt. Fast wortlos seilen wir nun an, queren in sehr steiles Gelände.

    image_557491.jpg

    Eine nahezu senkrechte Stelle danach sichern auch wir gerne. Der warme Sommer hat die Wand noch wilder gemacht, viel Blankeis zu Tage gefördert.
    image_557493.jpg

    image_557492.jpg

    Dass wir auf Seilsicherung bisher verzichtet haben, war wohl unser beider Rettung. Wir wären langsamer gewesen und sicherlich noch in der Rinne. Dort hätte es sicher kein Entkommen gegeben…
    Aber bereits erkennen wir die nächste Bedrohung: Wir müssen noch zwei Seillängen direkt unter einem gefrorenen, steilen Schotterhang hoch, rasch, aber konzentriert, jeder von uns weiß um die Gefahr…
    Die berüchtigte Triolet-Querung folgt.
    Zwei Seillängen in grauem Wassereis warten. Während mein Freund vorsichtig nach rechts strebt, blicke ich ängstlich nach oben. Über mir lauter lose festgefrorene Blöcke, wenn hier ein Stein fällt, fallen viele… Warum ist Gerhard bloß so langsam? Fast ärgerlich bin ich, weil er sich so vorsichtig bewegt. Ich weiß, ich bin ungerecht, es geht einfach nicht schneller. Ich habe Angst. Dieses untätige Ausharren am Stand – unerträglich! Bloß weg hier! Dann endlich:“Stand!“
    Wenn du selbst aktiv bist, ist die Angst weg, Konzentration vertreibt sie. Momentan, wenn du selbst drin steckst, hackst und kletterst, bist du nur Körper, ein Körper, der sich völlig konzentriert bewegt.
    image_557489.jpg

    Ich taste mich übers blanke Eis, hinein in eine schmale Rinne, das spröde Wassereis ist dünn, bricht immer wieder in größeren Schollen weg, fast sinnlos Eisschrauben zu setzen, sie greifen bald ins Leere…
    Tri-011.jpg

    Tri-012.jpg
    Zuletzt geändert von csf125; 05.11.2017, 19:06. Grund: Fotos korrigiert

    Kommentar


    • #3
      Trotzdem fühle ich mich sicher, die Wasserfälle zu Hause waren steiler. .. Doch direkt über mir wieder bedrohliche Eisdächer, nur weiter! Endlich kann ich in die kleine Verflachung oberhalb dem Serak hinaus queren. Gerhard kommt nach
      Tri-013.jpg
      Hier können wir betrachten, was gerade noch über unseren Köpfen gelauert hat:
      Tri-015.jpg
      Endlich sind wir sicherer und die Spannung weicht heiterer Gelassenheit. Rasch steigen wir am kurzen Seil weiter
      Tri-014.jpg
      bis uns ein kleinerer Eiswulst ausbremst. Aber das Eis ist hier perfekt und übermütig klettere ich direkt über den kleinen Überhang. Nur der Schnee stört, der mir direkt ins Genick rieselt, brrr... Gerhard lacht. Aber warte: „Bald bist du an der Reihe!“
      Tri-016.jpg

      Tri-017.jpg
      Danach wieder Blankeis, das Eis ist spröde, nur weiterhin schön konzentrieren! Ein Quergang noch, waagrecht, gut 20 Meter,
      Tri-018.jpg
      danach ein Bombenstand.
      Wenn wir Glück haben, kommen jetzt keine Hindernisse mehr. Gemütlich steigen wir Richtung Ausstiegsscharte.
      Tri-019.jpg
      Doch was ist das?
      Wenige Meter unter dem Ausstieg gähnt eine bis 5 Meter breite Spalte.
      Tri-020.jpg
      Gerhard versucht es am rechten Rand: Eine senkrechte Stufe, darüber haltloser Sulzschnee, hoffnungslos… Nur eine 100 Meter lange Querung nach links kann helfen. Hier gelingt der Überstieg. Aber nochmals müssen wir dafür ins steile Blankeis, weitere 2 Seillängen schräg querend, 50°, für wenige Ausstiegsmeter. Dann endlich die Scharte, unglaublich!
      Aber diese Schikane erschüttert uns nun nicht mehr. Genauso wenig der langwierige, gewittrige Abstieg. Nur rasch hinunter!
      Tri-021.jpg
      Auf die letzten brüchigen Gipfelmeter haben wir verzichtet.
      Erschüttert uns noch weniger…
      Der Abstieg über den zerrissenen Gletscher ist anspruchsvoll genug
      Tri-022.jpg

      Tri-023.jpg
      Aber bei diesem Anblick dürfen wir bereits in schöner Erinnerung schwelgen
      Tri-024.jpg

      Und die heutige Tour wird uns wohl auch für immer unvergesslich bleiben….

      LG

      Kommentar


      • #4
        Sagenhaft. Klasse!
        Vielen Dank für diesen spannenden Bericht.
        Grüße vom Graddler

        Kommentar


        • #5
          So so geil! DAS ist das Forum!!! DAS ist der Grund warum die neuen Medien nicht mithalten und die Gemeinschaft hier locker die Hypes überleben wird. Weil DAS und das ganze Forum mit jeden noch so kleinen Wanderbericht reale Informationen, Bilder und Emotionen in einer fast literarischen Qualität bieten..
          achja.. Und ich vermute fast das ist der Bericht des Monats wenn nicht des Jahres.. Gott sind auch die Fotos gut.. Ich würde ja glatt meine analoge wieder auspacken wenn sie nicht gefühlte 3kg hätte
          ​​

          but i see direct lines

          Kommentar


          • #6
            Jo geh leck! Und dann a langwieriger Abstieg a nu.. Solche Nerven bräucht ma..

            Kommentar


            • #7
              Ich bin wie immer sprachlos, wenn ich Deine einzigartigen Berichte lese!
              Danke, dass Du uns an diesen Erlebnissen teilhaben lässt!

              Kommentar


              • #8
                Wenn man über solche Touren heute nachdenkt, läuft es einem kalt den Rücken hinunter - aber toll wars trotzdem....
                Danke fürs Teilen, und meine Bewunderung in solchen Touren so viele Bilder zu machen. Mehr als ein oder zwei Bilder habe ich damals nie zustande gebracht...
                Gruss Thomas
                Neugierig, wo wir gerade unterwegs sind: www.segeln-und-klettern.de

                Kommentar


                • #9
                  das ist wohl dieses ganz grosse kino von dem immer alle reden
                  no gods - no masters - no signature

                  Kommentar


                  • #10
                    Sehr super und leider schon Alpingeschichte in dieser Form. Danke jedenfalls fürs reinstellen (v.a. fürs scannen der Fotos) und den spannenden Bericht.
                    LG
                    Andi
                    ... ab 45 Grad Neigung wird's interessant ...

                    Kommentar


                    • #11
                      Wahnsinn, echt genial wie mitreißend du deine Berichte schreibst! Klasse Leistung, deine Nerven möchte ich haben

                      Kommentar


                      • #12
                        Ein gewohnt starker Bericht. Danke fürs Mitnehmen. Der Sommer 83 scheint ja nie zu enden... Wirklich großartig, was ihr aneinandergereiht habt.

                        Mir persönlich wäre es zu gefährlich längere Zeit unter Séracs zu klettern, aber da mich Eisklettern nicht besonders reizt, habe ich leicht reden.
                        "Glück, das kann schon sein: man hat es fast hinter sich und einen Schluck Wasser noch dazu." (Malte Roeper)

                        https://www.instagram.com/grandcapucin38/

                        Kommentar


                        • #13
                          Gewaltig was ihr da gemacht habt,und das mit dieser Ausrüstung.
                          Aber es geht halt nichts über eine gute Moral

                          Kommentar


                          • #14
                            Unglaublich, das kann und mag ich mir nicht mal vorstellen, wie es ist, in so einer Situation zu sein wie ihr bei dem Seracsturz.

                            Ich liebe diese Nostalgie-Berichte, zum einen, weil das so weit weg von allem ist, was ich mache, und zum anderen, weil ich es immer wieder beeindruckend finde, wie ihr damals unterwegs wart! Außerdem gefällt mir sehr gut, wie detailliert und mitreißend du selbst nach 34 Jahren noch über die Touren schreibst! Vielen Dank für den Aufwand!

                            Kommentar


                            • #15
                              Danke, Danke für eure netten Kommentare! Freue mich ehrlich darüber, dass meine alten Geschichten auch heute noch so gut aufgenommen werden.
                              Stimmt schon, auch mir läuft es kalt über den Rücken beim Nachdenken über so manches überstandene wilde Abenteuer...
                              Ich kann jedenfalls den Satz nicht bestätigen, dass ein guter Bergsteiger einer ist, der beim Bergsteigen alt wird. Viele haben einfach nur oft Glück gehabt....
                              Über das Risiko solcher Touren kann man halt sehr verschiedener Ansicht sein.
                              Gerade in dieser Tour haben wir versucht, durch einen sorgfältigen Zeitplan etc, das Risiko möglichst gering zu halten - trotzdem.
                              Ein Faktor lässt sich halt in Routen mit Seraks auch durch Nacht und Kälte nie ganz ausschalten: Der Vorschub des Eises.
                              Das ist das Restrisiko, das bei allem Können noch bleibt.
                              Zu den Bildern.
                              Die Kamera, eine Voigtländer, habe ich auf allen Touren mitgeschleppt, auf dem Bild der Trioletquerung sieht man sie sogar am roten Band umgehängt. Heute bin ich um die Bilder sehr froh.

                              LG

                              Kommentar

                              Lädt...