Das Wetter ist immer noch schön, bloss nordseitige Touren sind weniger günstig wegen gefrorenem Boden und eventuellen Schneefeldern. Also südseitig! Da fehlt mir auf der rechten Talseite des Schanfigg (das Tal, welches von Chur nach Arosa führt) zwischen Montalin und Hochwang noch der Ful Berg. Guido will mitkommen.

Das Postauto fährt leider nicht ins Dorf Calfreisen, sondern gut 100 Hm tiefer durch die Haupstrasse. Somit müssen wir gegen 1300 Hm aufsteigen. Weglein und Alpsträsschen. Die Fernsicht ist hervorragend, man sieht bis zum Finsteraarhorn. Überhaupt scheint uns von unseren verschiedenen Standpunkten aus ganz Graubünden auf eigenartige Weise auseinandergezogen, und wir haben Mühe mit dem Benennen vieler Gipfel. Wo ist der Piz Ela, zum Beispiel? Ist er verdeckt oder ist es jener Berg dort?

Am einfachsten, weil auf Weg oder Wegspur, würde man Richtung Westgrat des Gromser Chopfs gehen, aber wir steuern direkt zu seinem NE-Grat. Das bedeutet, dass wir durch steiles, jetzt sehr trockenes Gras und einige Schrofen aufsteigen müssen. Guido fällt das bedeutend leichter als mir. Wir sehen zwei zünftige Steinböcke und einige Gemsen. Schliesslich stehen wir auf dem Grat zwischen Gromser Chopf und Ful Berg. Im SAC-Führer hatte ich gelesen, dass der Grat keine wirklichen Schwierigkeiten biete und T4 sei. Der auffällige Turm mit einer Stange liesse sich im Sommer wohl NW-seitig umgehen, aber diese ganz kurze Traverse sieht jetzt sehr heikel aus mit einem kleinen Schneefleck. Somit gehen wir südseitig unter dem Turm durch und krabbeln ein hässliches, schuttiges Couloir hoch, das glücklicherweise kurz ist. Auf dem Grat steigen wir auf den nächsten "Gipfel", da hats ein paar Stellen, wo man die Hände benötigt. Aber wir sind noch nicht oben, obwohl da ein Steinmann steht. Nach einiger Beratung kommen wir zum Schluss, dass erst der nächsthöhere Punkt der Ful Berg ist. Hier ist der Grat nicht mehr schwierig, es hat Wegspuren. Nach vier Stunden (ab Strasse) stehen wir auf seinem Gipfel. Die Bernina steckt in Wolken, den Piz Roseg erkennt man immerhin. Der Piz Kesch ist auch da. Auf der anderen Seite des Horizonts sieht man Landquart und die Churfirsten, Schesaplana, Kirchlispitzen, Drusenfluh, Sulzfluh...

Wir steigen ziemlich direkt durch das trockene Gras ab, bis wir wieder den Weg erreichen. Ein Adler fliegt vorbei. Einsamkeit pur. Erst weit unten treffen wir auf einen Landwirt, der offenbar seine Scheunen einwintert.

Ein wunderbarer Tag in der Stille (wir haben allerdings viel geschwatzt, weil wir uns längere Zeit nicht mehr gesehen hatten).